Aktien und die Inflation

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Aktien und die Inflation - oder: Warum "Buy&Hold" auf lange Sicht wenig oder nichts bringt!



EINLEITUNG:

Wenn der freundlich lächelnde Bankberater die Grafiken mit den beeindruckenden Wertentwicklungen diverser Aktiendepots über die letzten 15, 20 oder 30 Jahre wieder beiseite gelegt hat, fragt man sich oft, wie man nur so dumm sein konnte seine kümmerlichen Geldreserven bisher auf dem Postsparbuch oder ähnlichen Instrumenten gelagert zu haben. Er erwähnt zwar pflichtgemäß am Anfang und Ende seines Vortrages das "Ergebnisse aus der Vergangenheit keine Garantien für zukünftige Entwicklungen" sind, und Aktien scheinen auch irgendwie "risikobehaftet" zu sein, aber so recht glauben kann man es beim Anblick der grün unterlegten "Equity-Kurven" eher nicht....

Könnte es aber vielleicht sein, das die Ergebnisse, welche der Berater der ertragshungrigen Kundschaft präsentiert, noch viel weniger repräsentativ für die durchschnittliche Wertentwicklung von Aktiendepots sind, als die Vergangenheit insgesamt? Vielleicht sind einfach die letzten 30 Jahre besonders gut gelaufen? Hat man nicht im Geschichtsunterricht mal was von der Tulpenblase im Jahre Schnee gehört...? Was, wenn man die Wertentwicklung von Aktien bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen könnte? Kann man, ist aber nicht so einfach! Was aber recht einfach auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt werden kann, ist die Betrachtung eines der ältesten Aktienindexes der Welt, des S&P 500. In der ursprünglichen Version dieses Artikels hatte ich mich noch auf den Dow Jones bezogen. Die Version war in die Kritik geraten, weil ich Re-Investitionen von Dividenden nicht berücksichtigt hatte. Nun, da ich zum S&P500 die Dividendenerträge gefunden habe, verwende ich diesen. Er hat ausserdem den Vorteil, daß er deutlich breiter gestreut ist als der Dow Jones, und außerdem schon seit 1870 berechnet wird, 26 Jahre länger als der Dow Jones.


DER S&P 500 INDEX


Dieser Index wird seit 1870 berechnet, mit im wesentlichen nur kurzen Unterbrechungen zu Beginn des ersten Weltkrieges und im September 2001. Er spiegelt also die Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes der letzten 138 Jahre wieder. Schauen wir uns die Entwicklung der Monatsschlußkurse des Indexes von 1870 bis 1999 an:

S&P500-Kurve

Beeindruckend oder? Der erste Jahresschluß lag 1870 bei 5,0823 Punkten, der Höchststand bis Ende 2007 bekanntermaßen bei 1565,15 Punkten! Wenn das keine "Performance" ist. Versetzen wir uns also in die Lage eines amerikanischen Kleinsparers (für den es hier keine Wechselkursrisiken oder so gibt, für die späteren Kritiker), der 1870 beschließt für 1000 Dollar Indexaktien zu kaufen (Zertifikate gab's damals wohl noch nicht). Er, sein Sohn und sein Enkel bilden seither den Index immer getreulich nach, und der Enkel kann sich also Ende Dezember 1999, als er beschließt das Depot aufzulösen, über 289091 Dollar und 55 cent freuen. Nicht schlecht, oder? Aber was kann der Enkel im Jahre 1999 denn für die über eine Viertelmillion kaufen? Reicht gerade so für ein nettes Häuschen... nach immerhin über hundert Jahren sparen vielleicht nicht ganz so beeindruckend, zumal das Einstiegskapital von 1000 Dollar im Jahre 1870 nicht gerade ein Pappenstiel war...


DIE INFLATION

Die mittlere Inflationsrate in den USA betrug von 1870 bis 1999 2.96% p.a. Typische Rate für eine gesunde Volkswirtschaft, würde man sagen. Die genauen Werte schwanken zischen deutlicher Deflation (-6.4% im Jahre 1871) und über 20% im Jahre 1917. Übrigens verwende ich hier den Konsumgüter-Preisindex, also dasjenige Maß welches für den Privatanleger am ehesten ausschlaggebend ist. Die gesamte Datenreihe kann man sich z.b. bei www.measuringworth.com herunterladen, aber auch beim "Department of Labor", welches den "cpi" berechnet. Da vielleicht nicht alle AB-Leser die Zinseszinsrechnung locker im Kopf beherrschen, hier eine kleine Tabelle, welche Preisanstiege ein knapp 3%-ige Inflation über die Jahre bewirkt. Was am Anfang einen Dollar kostet, kostet nach X Jahren:


Jahre Preis [$]
0 1
1 1,03
5 1,16
10 1,39
20 1,79
30 3,20
50 4,30
130 44,35


Die 130 hab' ich natürlich extra mit aufgeschrieben, damit klar wird das der Opa für seinen 1000er 1870 vielleicht den neuesten, mit allen technischen Finessen ausgestatteten Dampftraktor hätte kaufen können, ein vergleichbares Gerät aber eben heutzutage eher 45000 Dollar kostet. (Nach amerikanischer, also "hedonischer" Inflationsberechnung ist der Preis für den neusten Supertraktor aber konstant geblieben, weil heutige Modelle die Erde viel schneller umpflügen als damals. Die Rechnung ist aber zweifelhaft, weil man eben für 1000 Dollar keinen Traktor mehr kaufen kann!). Kann man also für den Reingewinn aus dem Depot heute gerade mal 6 Traktoren kaufen gegenüber einem am Beginn der immerhin 130-jährigen Investitionsperiode. Rechnet man diese Preisentwicklung aus der S&P500 Indexkurve heraus, so stellt sie sich folgendermaßen dar:

S&P 500 Inflationskorrigiert


Huch, man erkennt ja garnichts mehr... Vielleicht nochmal die beiden Kurven im direkten vergleich im logarithmischen Maßstab:


S&P 500 Vergleich


Jawohl, der Inflationskorrigierte Schlußstand am 31.12.1999 beträgt ganze 111,5 Punkte! Schon nicht mehr ganz so beeindruckend.


UND DIE DIVIDENDE?

Als ich den Artikel zum erstenmal ins Aktienboard gestellt habe, sah's ziemlich düster aus für das Aktiensparen. Viele Mitglieder - von denen vielleicht einige zu der Sorte ganz oben gezeichneter freundlicher Bankberater gehören, fielen über mich her und schrien: Ja, aber die Dividendenzahlungen sind das A&O beim Aktiensparen. Wenn man die gezahlten Dividenden re-investiert, dann schlagen Aktien nach wie vor alles, Inflation hin oder her! Nun hab' ich nach langem suchen eine Tabelle mit den Dividendenerträgen des S&P 500 gefunden und kann diese einrechnen. Dabei gilt zu beachten, daß Dividendenzahlungen normalerweise versteuert werden müssen, bevor man sie re-investieren kann. Diese Steuerpflicht kann man vielleicht durch den Kauf von Fondsanteilen umgehen, aber die Fondsgesellschaften lassen sich das Management und die re-Investitionen auch vergüten. Für meine Berechnung nehme ich einen pauschalen Steuersatz von 33% an. Unabhängig davon, daß der für die historischen Jahre wohl nicht stimmt, reflektiert er wohl recht gut heutige Bedingungen. Natürlich kann man auch schlecht vorhersehen, wie die Steuergesetze in 130 Jahren aussehen werden, daher die stark vereinfachte Annahme eines konstanten Satzes. Rechnet man nun also die versteuerten und re-investierten Dividenden mit ein, so ergibt sich folgendes Bild:

S&P 500 mit Dividende u. Inflation

Sieh mal an - der beeindruckende gewinn ist wieder da, ende 1999 lag der effektive Stand sogar über dem nominalen! Dieses Bild hat sich zwar seither wieder eingetrübt, weil die Dividendenzahlungen der letzten Jahre niedrig, die Inflation aber hoch war, aber die Dividenden-reinvestition rettet tatsächlich das geschäft, oder?



GEWINNCHANCEN

Mit einem 4%-Sparbuch von der Post um die Ecke wären über die 110 Jahre aus den 1000 Dollar auch immerhin fast 75000 geworden. nicht schlecht, aber die Aktien waren tatsächlich besser. wenn man allerdings nicht ganze 110 Jahre Zeit hat, bis man sein Geld wieder braucht, und die Indexentwicklung betrachtet, besonders die Inflationskorrigierte, so erkennt man das es durchaus langanhaltende Verlustperioden geben kann. Auch solche von mehr als 30 Jahren länge...

Rechnet man alle möglichen Investitionen in den Dow Jones durch und schaut, nach wieviel Jahren man wieviel Gewinn bzw. Verlust gemacht hat, so ergibt sich nach reinen Indexständen folgendes Bild:

Gewinnchance

Die Grafik ist folgendermaßen zu lesen: Die Farbe eines Feldes gibt die Wahrscheinlichkeit an, daß der Gewinn bzw. Verlust nach soundsoviel Jahren (wo das Feld halt liegt) über oder unter der an der linken Achse angegebenen Schwelle liegt. So erkennt man beispielsweise, daß man nach ungefähr 25 Jahren ziemlich (aber doch nicht 100%ig) sicher irgendeinen Gewinn (>0), aber nur mit ca. 66% Wahrscheinlichkeit mehr als 100% Gewinn, also eine Kapitalverdopplung erzielt hat. Eine verelf-fachung des Kapitals wäre damit selbst nach 40 Jahren Investitionsdauer nur in jedem 4. Fall zu erwarten. Auch bemerkenswert ist, daß bis zu 20 Jahren Investitionsdauer eine durchaus nicht vernachlässigbare Chance auf einen Verlust besteht. Und es kommt, wie es kommen mußte, wendet man diese Berechnung auf die Inflationskorrigierte Kurve an, so wird das Bild noch trüber:

Gewinnchance Inflationskorrigiert

Jetzt muß man mindestens 40 Jahre investieren um wenigstens zu 90% sicher überhaupt einen Gewinn zu erzielen. Gewinne von über 100% werden nur noch jedem zweiten Investor zuteil, hat man weniger als 40 Jahre Zeit, verringern sich die Chance auf einen derartigen Ertrag schnell auf 25% und weniger. Sicher, das ist besser als Lotto, aber vom Lotto macht man ja auch vernünftigerweise nicht seine Altersvorsorge abhängig. hier sieht man auch, das real bei Haltezeiten um die 20 Jahre eine durchaus 10%ige Chance besteht mehr als die Hälfte seiner investierten Kaufkraft zu verlieren! Und das 4% Postsparbuch steht mit seinem 50% real-Ertrag (also nach Inflation!) nach 40 Jahren genausogut da wie knapp die Hälfte aller Aktiendepots!


KRITIK

Es gibt zu den obigen Betrachtungen natürlich ein paar Anmerkungen zu machen: Die allererste betrifft die Verwendung des Begriffes "Wahrscheinlichkeit". Streng genommen darf man den begriff nicht benutzen, denn es wird hier letztlich nur das Ergebnis einer Zählung vergangener Ereignisse vorgestellt. Zwar sind recht viele Ereignisse berücksichtigt, damit diese aber tatsächlich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung repräsentieren müßte der zugrundeliegende Prozess einer bestimmten Verteilungsfunktion folge. Für Aktienkursentwicklungen ist jedoch weder eine solche Verteilung bekannt, noch weiß man ob ihnen überhaupt eine zugrunde liegt. Mandelbrodt und Mitarbeiter haben zwar eine Verteilung angegeben die alle von Ihnen überprüften Kurshistorien reproduzieren konnte, aber meines Wissens wurde diese Verteilung trotzdem nie als wirklich allgemeingültig bestätigt. Außerdem wurde sie rein empirisch abgeleitet und ist deshalb aus theoretischer Sicht nicht nachvollziehbar. Ob die Farben in den Grafiken wirklich "Wahrscheinlichkeiten" darstellen, muß also auch hier, wie beim Bankberater, dahingestellt bleiben.

Zweitens gibt es sicher andere Ansätze als "Buy & Hold", mit denen sich am Aktienmarkt mehr Geld verdienen läßt. Über die Jahre verteilt kaufen, besserer Aktien/Branchenmix etc. Allerdings muß man dazu sagen, daß viele Fondsgesellschaften genau das versuchen: Den Index "outzuperformen" (gräßliche Wortschöpfung). Wer einen Fond weiß, der das über Zeiträume von 40 Jahren und länger konsistent geschafft hat, der möge sich bitte melden....