Steigende Zinserwartungen belasten Anleihe- und Aktienkurse

Es ist mal wieder sehr amüsant zu beobachten, wie Medien ihre Nachrichten an die Entwicklungen der Börsenkurse anpassen. Vorgestern lautete zum Beispiel eine Schlagzeile „DAX verteidigt erfolgreich Marke von 16.000 Punkten – Jahresendrally bleibt intakt“. Gestern war dann vom selben Medium zu lesen „Ausverkauf am deutschen Aktienmarkt – DAX verliert mehr als 200 Punkte“. Mehr tendenziöse und reißerische Berichterstattung geht kaum. Aber das sorgt eben für Klicks. Und nur diese bringen im Internet Geld.

Überraschend war dabei auch die Berichterstattung der Nachrichtenagentur Reuters. Diese berichtete vorgestern, mit der Nominierung des Fed-Chefs Jerome Powell für eine zweite Amtszeit sei eine gewisse Kontinuität in Sachen Geldpolitik zu erwarten, was die Aktienmärkte daher wohlwollend und mit stabilen Kursen zur Kenntnis genommen hätten. – So weit, so plausibel.
Doch am vorgestrigen Abend kam dann plötzlich Druck auf die Aktienkurse auf. Und daraufhin berichtete Reuters, Anleger würden nach der Powell-Nominierung stärker steigende Zinsen fürchten, was die Aktienmärkte belaste. Vom Argument der geldpolitischen Kontinuität war dagegen nichts mehr zu lesen.

Auch als Trader wird man oft vom Markt hin und hergerissen, so dass man morgens vielleicht noch einen bullishen Eindruck der Märkte hat und sich die Stimmung am Abend dann um 180 Grad gedreht hat. Wer kennt das nicht?! Aber die oben genannten Beispiele zeigen eben wieder einmal überdeutlich: Kurse machen Nachrichten! Journalisten suchen für jede Marktbewegung einen Grund, weil es für entsprechende Berichte Konsumenten gibt. Dabei wollen insbesondere Börsenneulinge wissen, welchen Grund einzelne Kursbewegungen haben. Doch als langjähriger Anleger hat man längst die Erfahrung gemacht, dass man nicht jede Kursbewegung immer exakt erklären kann.

Renditen am Anleihemarkt deutlich gestiegen

Ich versuche es bei dem aktuellen Kursgeschehen aber auch wieder: So lässt sich an den Börsenkursen durchaus ablesen, dass Anleger steigende Zinsen erwarten. Denn die Renditen am Anleihemarkt sind vorgestern insbesondere in den USA und gestern auch hierzulande deutlich gestiegen. Ob dafür die bloße Nominierung Powells verantwortlich war, die in der Tat eher Kontinuität erwarten lässt, darf bezweifelt werden. Stattdessen dürften es neuerliche Wortmeldungen von Währungshütern zur Geldpolitik und Inflationsentwicklung gewesen sein, die die Kurse jüngst insbesondere am Anleihemarkt wieder stark bewegt haben.

EZB gesteht zunehmend Inflationsrisiken ein

So sagte gestern zum Beispiel EZB-Ratsmitglied Klaas Knot in einem Interview, die Europäische Zentralbank (EZB) könne bei ihren Konjunkturhilfen künftig einen Gang zurückschalten. Der Inflationsausblick sei deutlich günstiger als noch vor der Pandemie, so Knot. Gemeint ist damit, dass das die EZB ihrem Inflationsziel näher gekommen ist und die nach wie vor extremen Maßnahmen daher schneller beendet werden können als bislang geplant.

Und EZB-Direktorin Isabel Schnabel warnte gar vor Inflationsrisiken. Zwar sei es plausibel, dass die Teuerungsrate im Euroraum mittelfristig unter das 2%-Ziel der EZB fallen werde, aber die Unsicherheit habe sich erhöht, was Geschwindigkeit und Umfang des Rückgangs betreffe, so Schnabel. Und weiter: „Ich denke nicht, dass wir auf Basis der aktuellen Daten wirklich sagen können, was passieren wird.“ Sie gehe davon aus, dass die Inflationsprognose der EZB-Volkswirte für nächstes Jahr nach oben revidiert werde.

Unsicherheit über die weitere Entwicklung

Diese Aussagen waren gestern sicherlich geeignet, die Anleiherenditen in der Eurozone steigen zu lassen. Und sie sind recht kritisch zu werten. Denn der von den Währungshütern zuvor vermittelte Eindruck, die EZB wisse, wie sich die Inflation zukünftig entwickeln wird und was daher zu tun sei, wurde damit deutlich aufgeweicht. Das erhöht die Unsicherheit. Und diese hassen Börsen wie der Teufel das Weihwasser. Entsprechend gaben sowohl Aktienkurse (aufgrund erhöhter Unsicherheit) als auch die Anleihemärkte (aufgrund steigender Zinserwartungen) nach. Auch passt zu der These der gestiegenen Zinserhöhungserwartungen, dass Wachstumswerte, die grundsätzlich stärker unter steigenden Zinsen leiden, vorgestern und gestern höhere Kursverluste hinnehmen mussten als Value-Werte.

Freigabe strategischer Ölreserven im Kampf gegen Inflation

Die hohe Inflation hat inzwischen auch zu einer ungewöhnlichen Aktion geführt. So forderten die USA in den vergangenen Tagen andere große Volkswirtschaften auf, im Kampf gegen die gestiegenen Energiepreise gemeinsam die Freigabe von Öl aus strategischen Reserven in Erwägung zu ziehen. Gestern gaben die USA dann bereits bekannt, sie würden ihre strategischen Ölreserven öffnen und 50 Mio. Barrel Rohöl freigeben. Wenig später meldete Indien, 5 Mio. Barrel aus seinen Ölreserven freizugeben.

Japan könnte folgen. Denn auch das asiatische Land hatte schon am Wochenende wegen der stark gestiegenen Energiepreise über ein Anzapfen der Ölreserven laut nachgedacht. „Wir überlegen, was wir tun können, unter der Voraussetzung, dass Japan sich mit den Vereinigten Staaten und anderen betroffenen Ländern abstimmt“, wurde Ministerpräsident Fumio Kishida am Samstag von Medien zitiert.
Japans Regierung hatte erst am Freitag ein Konjunkturpaket in Rekordhöhe von umgerechnet rund 430 Mrd. Euro geschnürt, das der Wirtschaft über die Corona-Krise hinweghelfen soll, aber auch Maßnahmen gegen den Anstieg der Ölpreise vorsieht.

Regierungen nehmen den Kampf gegen Inflation selbst in die Hand

Damit nehmen nun die Regierungen einiger Länder den Kampf gegen die Inflation in die Hand, während die Notenbanken nur sehr zögerlich vorgehen und die Inflation damit aktuell eher noch anheizen. Die Idee der USA bezüglich der Ölreserven erscheint dabei auch durchaus sinnvoll. Denn Veränderungen der Geldpolitik wirken auf die Inflation nur deutlich zeitverzögert, während eine konzertierte Aktion von Regierungen kurzfristig deutlichen Einfluss auf die Öl-Preise und somit die Inflation haben kann. Zudem könnten zu schnelle Richtungsänderungen der Notenbanken zu Verwerfungen an den Börsen führen, bis hin zu Panik der Anleger, was weder im Interesse von Notenbanken noch Regierungen sein dürfte.

Bund-Future: Abwärtstrend wieder aufgenommen?

Dennoch setzen Anleger derzeit darauf, dass auch die Notenbanken bald einen größeren Beitrag zum Kampf gegen die Inflation beisteuern werden. Sie haben die Renditen am Anleihemarkt steigen und die Kurse fallen lassen. Der Bund-Future ist dadurch jüngst am 50%-Fibonacci-Retracement der letzten starken Abwärtsbewegung abgeprallt und in den Bereich der Konsolidierung unterhalb der 38,20er Marke zurückgefallen.

Bund-Future - Chartanalyse

Damit könnte die Kurserholung nur eine ABC-Gegenbewegung gewesen sein (blaue Buchstaben im Chart) und sich die Abwärtstendenz nun bereits wieder fortsetzen. Im Target-Trend-Spezial hatten wir schon zu einer Short-Position geraten. Ich gehe davon aus, dass es bald ein Wiedersehen mit dem jüngsten Korrekturtiefs bei ca. 167,7 Punkten geben wird.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus

(Quelle: www.stockstreet.de)

Sven Weisenhaus ist Chefredakteur des renommierten Börsen-Newsletters Börse-Intern, der vom bekannten Börsen-Portal Stockstreet.de herausgegeben wird. Er schreibt dort auch die Analysen des „Target-Trend-Spezial“ - einem börsentäglichen Dienst, der den DAX und andere Indices nach der berühmten Target-Trend-Methode analysiert.

www.stockstreet.de

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