NVIDIA und der Leser-Mail-Indikator

NVIDIA und der Leser-Mail-Indikator
von Sven Weisenhaus

An den Börsen gibt es immer wieder eine neue Sau, die durchs Dorf gejagt wird. Zweifelsfrei ist das aktuelle Mode-Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI). Wir bei Stockstreet erkennen solche Mode-Themen auch daran, dass uns dazu besonders viele E-Mails erreichen. Vor allem, wenn Kritik geäußert wird, sind Leser, die sich von einem Hype haben beeindrucken lassen, häufig bemüht, uns vom Gegenteil zu überzeugen.

Der Leser-Mail-Indikator

Die Frage, wer dabei am Ende Recht behält, lässt sich natürlich erst im Nachhinein beantworten. Und manchmal ist die Frage, wer richtig lag, gar nicht leicht zu beantworten.
Zu NVIDIA hatte ich mich zum Beispiel am 24. August 2023 unter der Überschrift „Sorgte NVIDIA nur für ein kurzes Strohfeuer?“ geäußert, als der Aktienkurs bei rund 500 Dollar lag und sich binnen nur eines Jahres schon mehr als verdreifacht hatte.

Prompt erhielt ich einige Leser-Mails, in denen ich unter anderem als zu pessimistisch bezeichnet wurde. Zitat: „NVDA bald über $500, Sven. Du bist leider immer viel zu pessimistisch.“ Meine Antwort auf diese Aussage lautete damals wie folgt:

Zu pessimistisch?

Bin ich tatsächlich “immer viel zu pessimistisch”? 
Der DAX steht auf dem Niveau vom 9. Februar. Hätte sich hier Optimismus gelohnt? Oder war nicht viel mehr der Pessimismus bzw. meine Skepsis mehr als gerechtfertigt?!
Weiteres Beispiel: Der Dow Jones fiel vorgestern auf das Niveau vom 22.11.2022 zurück. Hätte sich hier Optimismus gelohnt? Oder war nicht viel mehr der Pessimismus bzw. meine Skepsis mehr als gerechtfertigt?!

Und was NVIDIA angeht:
Ich investiere grundsätzlich nur in Werte, die ich sowohl aus fundamentaler als auch charttechnischer Sicht für interessant halte. Und bei NVIDIA ist das derzeit einfach nicht der Fall, weil die Aktie fundamental sehr hoch bewertet (vor allem beim KUV) und charttechnisch überkauft ist. Daher spielt es für mich überhaupt keine Rolle, ob der Kurs noch auf 500 $ steigt, wo er am Freitag sogar bereits war, oder sogar noch auf 600 $. Das Risiko, am Hoch zu kaufen, ist mir einfach zu groß. Und an der Börse ist das Chance-Risiko-Verhältnis (CRV) entscheidend für langfristigen Erfolg. Außerdem gibt es an der Börse ständig alternative Chancen, mit einem besseren CRV. Daher darf man entgangenen Gewinnen auch nie hinterhertrauern. Schließlich finden an jedem Tag, in jeder Stunde, in jeder Minute Kursgewinne bei Werten statt, in denen ich nicht investiert bin. Denn ich kann nicht überall investiert sein. Würde ich jedem entgangenen Gewinn hinterhertrauern, würde ich im Leben nicht mehr glücklich.

Übrigens: Dass Sie mir ausgerechnet zu NVIDIA schreiben, zeigt mir, wie extrem die Euphorie an der Börse zu diesem Wert ist. Ich habe das unter anderem vor einigen Jahren bereits zum Goldpreis erlebt. Ein kritisches Wort zu dem Edelmetall, schon landeten diverse E-Mails mit gegenteiliger Meinung im Postfach. Wenig später rauschte der Preis von mehr als 1.800 auf nur noch etwas mehr als 1.000 Dollar in den Keller. Ein größerer Rücksetzer kann daher eigentlich auch bei NVIDIA nun nicht mehr lange auf sich warten lassen… (Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die Kursentwicklung von Tesla von November 2021 bis Januar 2023!)

NVIDIA bei fast 1.000 Dollar

Tja, vor wenigen Tagen fehlten NVIDIA nur noch 26 Dollar bis zu einem Aktienkurs von 1.000 Dollar. Lag ich also mit meiner Einschätzung falsch? Schaut man nur auf den aktuellen Aktienkurs und den entgangenen Gewinn, kann man die Frage klar mit „Ja“ beantworten. An meiner grundlegenden Einschätzung, dass mir das Risiko bei NVIDIA wegen des steilen Kursanstiegs schlicht zu hoch ist und ich in solche Werte daher grundsätzlich nicht investiere, hat sich aber nichts geändert. Vielmehr gilt das heute bei NVIDIA angesichts des Kursanstiegs seit Jahresbeginn um fast 100 % nur umso mehr (siehe auch folgender Chart).

Einem anderen Leser, der mir vorwarf, die Kursgewinne bei NVIDIA „komplett verschlafen“ zu haben, antwortete ich damals daher auch Folgendes:
Ich habe nicht nur die Kursgewinne bei NVIDIA ‚verschlafen‘, sondern auch die bei unzähligen weiteren Werten, in denen ich nicht investiert bin, obwohl es mit den Kursen bergauf ging. Das stört mich aber überhaupt nicht, denn ich kann nicht überall investiert sein – und will es auch überhaupt nicht. Daher darf man an der Börse auch entgangenen Gewinnen nie hinterhertrauern. Schließlich ergeben sich ständig neue Chancen.

Saisonale Schwäche brachte deutlich fallende Kurse

Unabhängig davon ging es in der Analyse vom 24. August 2023 unter der Überschrift „Sorgte NVIDIA nur für ein kurzes Strohfeuer?“ aber auch eigentlich gar nicht um NVIDIA, sondern um die damalige Bilanzsaison und die schlechten Perspektiven für die Aktienmärkte insgesamt, da damals der saisonal schwache September bevorstand. Und zur Erinnerung: Am 24. August 2023 stand der DAX bei mehr als 15.600 Punkten, Ende Oktober waren es rund 1.000 Punkte weniger.

Außerdem: NVIDIA notierte am 31. Oktober 2023 bei unter 400 Dollar und war somit seit meiner Analyse um fast 17 % gefallen.

Mit der damaligen Analyse und der damit verbundenen Warnung vor einer saisonalen Schwäche hatte ich also vollkommen Recht.

Recht zu haben ist an der Börse kein sinnvolles Ziel

An der Börse kommt es aber gar nicht darauf an, Recht zu haben. Es kann sogar sehr teuer werden, wenn man auf seine Meinung beharrt. Glaubt man zum Beispiel aus welchen Gründen auch immer an den Erfolg eines Unternehmens und hält daher an den erworbenen Aktien fest, obwohl es mit dem Kurs immer weiter abwärts geht, dann spielt es schlicht keine Rolle, ob die eigenen Argumente plausibel sind. In diesem Fall hat immer der Markt Recht, weil man mit seinem Trade tief im Minus liegt.

Entscheidend beim langfristigen Erfolg an der Börse ist das Chance-Risiko-Verhältnis (CRV). Und NVIDIA bietet aus meiner Sicht kein gutes CRV. Das ist meine Meinung. Am Markt gibt es natürlich auch immer eine gegensätzliche Meinung. Sonst könnte es kaum einen Aktienhandel geben. Denn in den meisten Fällen glaubt irgendjemand an steigende Kurse (Käufer) und zugleich ein anderer an fallende (Verkäufer).

In extreme Werte investieren, weil es noch extremere Werte gibt?

Vor diesem Hintergrund verwunderte mich auch die Argumentation eines weiteren Lesers, der mir auf die Analyse mit der Überschrift „NVIDIA & Co. verstärken die fundamentalen Diskrepanzen“ Folgendes schrieb:
Verglichen mit dem KGV von US-Anleihen i. H. v. ca. 22-23 erscheint mir das KGV von Dow und S&P 500 noch nicht überreizt. Und für Nvidia wird ein KGV von 35 für 2024 und von rd 30 für 2025 angegeben – da gibt es deutliche extremere Werte.

Meine Antwort auf diese Mail lautete wie folgt:
Ich würde mir als Investor allerdings die Frage stellen, ob ich bereit bin, ein KGV von über 20 beim S&P 500 hinzunehmen, wenn ich dafür ein (hohes) Kursrisiko hinnehmen muss, welches bei Anleihen nicht besteht (sofern ich sie bis Laufzeitende halte), die mit einem KGV von 22-23 nur etwas höher bewertet sind.
Und dass es extremere Werte gibt, ist für mich kein Argument, in einen lediglich weniger extremen Wert einzusteigen. Solche Investitionen überlasse ich den Spekulanten. Mit seriösem Anlegen hat das aus meiner Sicht nichts zu tun, da offensichtlich ist, dass wir es hier derzeit mit Übertreibungen zu tun haben, vor allem charttechnisch. Daher ist das Risiko scharfer Rücksetzer derzeit einfach zu hoch.

Optimistisch bezüglich heimischer Werte

Ich bleibe daher bezüglich der Aktienmärkte in den USA skeptisch und zurückhaltend, wenn Sie so wollen also „pessimistisch“. Allerdings werbe ich zugleich weiterhin für die günstig bewerteten Titel des europäischen Kontinents, für die ich mittel- und langfristig sehr optimistisch bin (siehe dazu unter anderem auch „Steht der DAX bald schon bei 18.718 Punkten?“).

Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus

(Quelle: www.stockstreet.de)

Sven Weisenhaus ist Chefredakteur des renommierten Börsen-Newsletters Börse-Intern, der vom bekannten Börsen-Portal Stockstreet.de herausgegeben wird. Er schreibt dort auch die Analysen des „Target-Trend-Spezial“ - einem börsentäglichen Dienst, der den DAX und andere Indices nach der berühmten Target-Trend-Methode analysiert.

www.stockstreet.de

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