Nachdem die vorgestrigen Arbeitsmarktdaten des privaten Personaldienstleisters ADP bereits ein positiver Vorbote waren, ist gestern der offizielle Bericht sehr stark ausgefallen. Und im Gegensatz zu den ADP-Daten konnte dieser sogar die Erwartungen schlagen.
Demnach wurden im Juni 4,8 Millionen neue Stellen geschaffen nach +2,7 Millionen im Monat zuvor und -20,8 Millionen im April. Die Konsensschätzung lag bei 3,0 Millionen neuen Stellen.
Die Arbeitslosequote ging auf 11,1 % zurück, nach 13,3 % im Mai. Erwartet wurde hier ein Wert von 12,3 %.
Wie kann man die Zahlen nun werten?
Bullishe und bearishe Interpretation der Daten
Die Variante der Bullen: Der Arbeitsmarktbericht hat die Prognosen klar geschlagen und der Arbeitsmarkt erholt sich deutlich schneller als erwartet. Dementsprechend haben die Aktienmärkte auch klar positiv auf die Zahlen reagiert und die Aktienindizes einen Sprung nach oben gemacht.
Die Argumente der Bären: Es wurden zwar in den vergangenen beiden Monaten 7,5 Millionen Stellen geschaffen, es sind aber damit noch 13,3 Millionen Menschen mehr arbeitslos als vor der Krise. Und die Arbeitslosenquote ist immer noch höher als zu Zeiten der Finanzkrise. Da die Neuinfektionen in den USA vorgestern erneut ein Rekordniveau erreicht haben und Lockerungen in diversen Bundesstaaten zurückgenommen wurden, könnte die Arbeitslosigkeit inzwischen bereits wieder zulegen, was die Juni-Daten noch gar nicht widerspiegeln.
Ob über oder unter den Erwartungen – die Aktienkurse steigen
Aus meiner Sicht sind beide Sichtweisen absolut richtig. Doch die Argumente der Bären ziehen derzeit einfach nicht. Stattdessen haben die Aktienmärkte sowohl auf die gestrigen als auch die vorgestrigen Daten bullish reagiert, obwohl die Erwartungen vorgestern enttäuscht und gestern übertroffen wurden. Dies zeigt sehr klar, welche Mentalität derzeit an den Märkten herrscht. Komme, was wolle, es wird wieder gekauft bis sich die Balken biegen. Die Konsolidierungen in DAX, Dow Jones und S&P 500 scheinen ausgereicht zu haben, um nun wieder Käufer anzulocken.
Es droht eine neue Finanzkrise
Dabei schildern die mahnenden Worte diverser Experten ein immer bedrohlicheres Szenario. Der US-Notenbankpräsident von St. Louis, James Bullard, warnt nun sogar vor einer neuen Finanzkrise. Er fordert ein besseres Risikomanagement in der Gesundheitspolitik, ansonsten „könnten wir eine Welle von großen Firmenpleiten bekommen, die sich zu einer Finanzkrise ausweiten könnte“, sagte er in einem Interview der Financial Times.
Damit brandmarkt er natürlich auch die Infektionszahlen in den USA, die weiter im Rekordtempo zunehmen. Einer Reuters-Zählung zufolge gab es gestern fast 50.000 Neuinfektionen – so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie.
Merkwürdige Entwicklungen
Und dies führt zu sehr merkwürdigen Entwicklungen. Nicht nur, dass sich die Neuinfektionen scheinbar kaum mehr belastend auf die Wirtschaft auswirken und die Konjunkturdaten aus den USA fast schon ein Bild ohne Neuinfektionen malen, auch ist das Verbraucherverhalten nur bedingt nachvollziehbar.
Bei einer vorgestern veröffentlichten Reuters/Ipsos-Befragung gaben 81 % an, sie seien sehr oder etwas besorgt. Ein so großer Anteil war zuletzt bei einer ähnlichen Umfrage Mitte Mai ermittelt worden. Trotzdem hat sich die Verbraucherstimmung unerwartet deutlich aufgehellt. Das entsprechende Barometer des Forschungsinstituts Conference Board kletterte im Juni auf 98,1 Punkte, nach 85,9 Zählern im Vormonat.
Mit Blick auf die Grafik kann man aber natürlich einräumen, dass die Verbraucherstimmung selbst nach dem aktuellen Anstieg noch stark gedämpft ist. Schließlich hat sie noch nicht wieder das Niveau von vor zwei Jahren erreicht. Dennoch passen die Konjunkturdaten nicht so recht zum Infektionsgeschehen.
Wohl auch deshalb betonte James Bullard gegenüber der Financial Times, dass es für die US-Notenbank vernünftig sei, ihre Geldversorgung beizubehalten, obwohl sich die Liquidität an den Finanzmärkten bereits dramatisch verbessert habe. Und letztlich ist die Geldversorgung gerade der Haupttreiber der Aktienkurse.
Fazit
Ich komme daher zu folgendem Fazit: Die Arbeitslosigkeit in den USA ist nach wie vor extrem hoch und die Verbraucherstimmung entsprechend gedämpft. Die Datenlage bessert sich zwar, aber die Entwicklung der Neuinfektionen kann wieder zu einem deutlichen Rückschritt führen – auch an den Aktienmärkten. Derweil überschlagen sich die Experten mit mahnenden Worten, während die Konjunkturdaten das Front-Running der Aktienmärkte zu bestätigen scheinen.
Es bleibt daher eine extrem schwierige Frage, wer aktuell richtig und wer falsch liegt. Kommt es zu einer zweiten Welle – Infektionswelle und Abwärtswelle am Aktienmarkt – oder müssen die Experten irgendwann einräumen, die Sache doch zu pessimistisch gesehen zu haben? Die Antwort darauf kennen weder Kleinanleger noch professionelle Investoren. Ich fürchte allerdings, dass viele Kleinanleger bald auf überteuerten Aktien sitzen, die ihnen die professionellen Investoren noch vor der zweiten Welle verkauft haben.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)